K****bIch hätte ja damals von Heinrichs Existenz niemals etwas erfahren, wenn es nach dem Willen meiner besorgten Eltern gegangen wäre, aber die beiden gottesfürchtigen Leutchen machten eines Tages doch den Fehler, über den Besagten zu sprechen, ohne zu bedenken, dass ich im Nebenzimmer in Hörweite war.
So erfuhr ich denn doch einiges über den Cousin meines Vaters, namens Heinrich, den man durchaus als schwarzes Schaf der Familie bezeichnen konnte.
Meine Eltern regten sich darüber auf, dass Heinrich seinen ererbten landwirtschaftlichen Betrieb, der außerhalb unseres Dorfes in der Nähe des Waldes angesiedelt war, wie ich später herausfand, nicht ordentlich führte, wodurch dieser immer mehr herunterkam.
Ständig sei Heinrich mit irgendwelchen religionswissenschaftlichen Studien und dem spirituellen Suchen beschäftigt. Er hätte schon einige Studiengänge im Bereich der Geisteswissenschaften begonnen, aber nach dem Wissen meiner Eltern sämtliche abgebrochen, ohne Abschluss. Ein Träumer eben. Eine Heirat habe bei ihm nie in Aussicht gestanden, ja, es sei in seiner Nähe sogar niemals eine Frau gesichtet worden, die als Heiratskandidatin hätte gelten können. Man müsse (und dabei flüsterte Vater fast, als er diese Vermutung aussprach), davon ausgehen, Heinrich sei vom anderen Ufer. Mir sagte dies nichts, aber ich nahm mir vor es herauszufinden.
Ich selbst war damals noch blutjung, wie man zu sagen pflegt und ich hatte auch nicht mal eine Freundin, wenn man von Beate absieht, mit der ich schon im Sandkasten gespielt hatte. Die Tochter unserer nächsten Nachbarn. Ich hatte schon ein Auge auf Beate geworfen, als ich in das Alter kam, in dem einen das andere Geschlecht, wegen seines Andersseins zu interessieren beginnt. Es war die Zeit, in der Beate langsam anfing mehr und mehr kurviger zu werden. Da schaute ich sie doch gerne an, allerdings etwas neidisch, weil ich nicht ihre Kurven besaß, d.h. ein kleines bisschen schon, jedenfalls hoffte ich das. Mein Empfinden Mädchen und Frauen gegenüber war so lange ich denken kann, immer mehr von dem Wunsch nach Nachahmung geprägt, als von dem Wunsch sie zu besitzen. Und doch wollte ich Beate nicht verlieren.
Aber genau dies geschah, zu meiner großen Bestürzung. Ich weiß es noch wie heute und es brennt auch heute noch in mir ein Gefühl der Sehnsucht und Enttäuschung, wenn ich daran zurückdenke. Beate und ich machten nämlich bei einem 1. Mai Ausflug unseres örtlichen Sportvereins mit. Es war der Tag, an dem ich mir vorgenommen hatte, Beate meine Liebe zu gestehen. Ich hatte mir schon vorgestellt, wie wir nach meinem Geständnis Händchen haltend vom Ausflug zurückkehren würden. Weiteres wollte ich mir noch nicht vorstellen.
Als unsre Gruppe am Rhein auf einer Wiese ihr Lager aufschlug und die Würstchen auf den Grills bereits dampften, wollte ich Beate eins mitbringen, ganz der Gentlemen. Doch als ich zurückkam, saß Emil neben ihr, unser Bester im Ringen. Ein kraftstrotzender breit gebauter Bursche.
Obwohl ich ihn für einen für einen etwas schwerfälligen Menschen hielt, schien sich Beate köstlich mit ihm zu unterhalten. Es wurde sogar gemeinsam gelacht. Ich wusste damals noch nicht, dass Frauen generell die eher maskulinen Typen bevorzugen und weniger an blondgelockten mädchenhaften Burschen interessiert sind, auch wenn diese noch so gebildet daherkommen. Es sind die Urkräfte der Natur, die da am Wirken sind.
K****bIch ging nicht hinüber zu den Beiden, ich wollte nicht stören. Ich verzog mich auf die andere Seite der Wiese und unterhielt mich mit zwei ehemaligen Schulkameraden, den Rest des Tages.
Meinen Glauben an ein gutes Ende für mich und Beate, verlor ich endgültig, als ich sie und Emil später in einem angrenzenden Buschwerk verschwinden sah.
Meine erste Niederlage als Mann, zugefügt von einer rücksichtslosen, sich nur ihren Trieben hingebenden Frau. Ja wusste sie denn nicht, was ich für sie empfand? War ihr denn meine Treue und freundschaftliche Zuneigung gar nichts wert? Musste sie diese, wegen blanker Körperlichkeit, denn mehr konnte es bei Emil doch nicht zu holen geben für sie, einfach wegwerfen? Scheinbar ja, jedenfalls haben wir nachher nur noch selten etwas miteinander zu tun gehabt. Der Basis unserer Freundschaft war der Nährboden entzogen worden.
Nach diesem einschneidenden Erlebnis befand ich mich einige Zeit in einer Art Krise.
Vieles, was mich vorher interessiert hatte, bedeutete mir nun gar nichts mehr, es war nur noch ein schales Gefühl der Leere in mir.
Oft fuhr ich dann mit meinem Rad ziellos in der Gegend herum. Ich wollte mich irgendwie sammeln und neu ausrichten.
Eines Tages bog ich dann wie zufällig auf den Feldweg ein, der schnurstracks zu Heinrichs Hof führte. Obwohl ich erkannte, dass es Heinrichs Hof sein musste, der dort vorne am Ende des Weges lag, stoppte ich nicht, kehrte ich nicht um, sondern ich fuhr weiter, als gäbe es dort irgendetwas zu holen oder zu finden für mich. Schon fuhr ich durch das sperrangelweit offen stehende Hoftor auf den Hof von Heinrichs Anwesen.
Der Hof war mit Pflastersteinen bedeckt, aus deren Ritzen einiges an Unkraut spross. Ein Zeichen dafür, dass der Besitzer es mit der Ordnung scheinbar nicht so genau nahm. Von daher, wurde das Urteil meiner Eltern über Heinrich sofort bekräftigt. Heinrich vernachlässigte wohl seinen Besitz, das war offenkundig.
Ein schwarzer Wolfsspitz rasselte an seiner Kette und drehte sich bellend wie verrückt im Kreis, worauf der Herr des Hofes aus dem Haus gestürmt kam, um den Störenfried zu vertreiben. Hierher verirrte sich sicher selten jemand. Heinrich hatte Ähnlichkeit mit meinem Vater, die beiden waren ja Cousins. Dasselbe schwarze glatte Haar mit grauen Schläfen, dieselben etwas stechend wirkenden dunklen Augen und die markante Nase. Aber Heinrich war wesentlich breiter und kräftiger als mein Vater, der zeitlebens auf seine Figur geachtet hatte und deswegen alles gemieden hatte, was zum Fettansatz hätte führen können.
Bevor Heinrich mich aus lauter Unwillen wegen des ungebetenen Gastes über den Haufen rannte, gelang es mir noch zu rufen: „Ich bin es, Martin, der Sohn von Heinz und Herta, Onkel Heinrich.“
Das stoppte ihn abrupt und darauf schaute er mich eine Weile schweigend von oben bis unten prüfend an, dann hellte sich seine bisher finstere Miene etwas auf und er bat mich ihm ins Haus zu folgen.
Das Haus war ein alter Fachwerkbau mit kleinen Fenstern und niedrigen Decken.
Meine Eltern hatten zu der Zeit längst ihr altes Haus durch ein neues, größeres ersetzt.
K****bIm Haus forderte mich Heinrich auf, ihm in sein Arbeitszimmer zu folgen. Ein nicht gerade hell erleuchteter Raum, mit vielen vollgestellten Bücherregalen an den Wänden.
Heinrich setzte sich hinter einen schweren Eichenschreibtisch und gebot mir davor auf einem einfachen niedrigen Stuhl Platz zu nehmen. So thronte er weit über mir und schaute schräg auf mich herunter.
Er sei gerade in den Vorbereitungen für das jährliche große Gruppentreffen, das diesmal auf seinem Hof stattfinden solle. Die Ehre sei kaum zu bemessen.
Eigentlich hätte er gar keine Zeit jetzt Besuch zu empfangen. Das angebotene Glas Wein lehnte ich ab, worauf er Wasser bereitstellte. Scheinbar war er doch ein umsichtiger Mann.
Er vermutete, er habe mich zum letzten Mal in der Wiege gesehen, aber meine Physiognomie sei eindeutig die der Familie, wenn auch meine mehr die mütterlicherseits sei und seine ganz sicher die väterlicherseits. Ich widersprach nicht. Was mich herführe, wollte er wissen. Ich konnte nur ehrlicherweise sagen, ich sei wohl zufällig hier gelandet, worauf er mit ernstem Blick antwortete, es gäbe in unserer Existenz keine Zufälle, alles sei vorbestimmt und wir müssten unser Zusammentreffen als von oben geleitet und bewusst herbeigeführt betrachten. Ich hielt es für besser, ihm nicht zu widersprechen, denn trotz aller durchschimmernden Freundlichkeit, nahm ich aufgrund seiner gesamten Erscheinung an, er könne auch ungemütlich werden. Niemand wusste ja, dass ich hier war.
Ohne dass ich ihn gefragt hätte begann er jetzt über seinen gesamten Bildungswerdegang zu dozieren. Scheinbar wollte er mich beeindrucken. Es gelang ihm, denn ich fand es wirklich erstaunlich, was er auf diesem Gebiet alles unternommen hatte.
Zunächst habe er begonnen mit den akademischen Studien der Philosophie, Psychologie und sogar der Theologie und es habe ihn einige Jahre des mühsamen Ringens gekostet, bis sich in ihm die Erkenntnis durchsetzte, dass er auf diesen Gebieten seine Zeit nur unnötig vertue.
Es sei ein Kramen in Worten gewesen, weiter nichts, eine endlose Wortklauberei, unfruchtbar und zum echte Erkenntnisgewinn in keinster Weise geeignet.
Zum Glück habe er dann irgendwann ein Plakat des Meisters gelesen, das auf einen Vortrag über Schamanismus der indigenen Ureinwohner Nordamerikas hinwies. Natürlich sei auch dies kein Zufall gewesen, auch dies war Vorsehung.
Dieser Vortrag des Meisters sei für Heinrich das reinste Erweckungserlebnis gewesen.
Sofort sei ihm klargeworden, dass er fürderhin sein gesamtes Denken und Trachten auf den Schamanismus zu legen bereit und willens war. Allein die Person des Meisters habe ihn derart tief beeindruckt, dass er bereit gewesen war sein komplettes Leben in dessen Dienst zu stellen und alles zu tun, um dessen Sache voranzutreiben.
Er las und verinnerlichte alle Schriften des Meisters über Schamanismus und wurde dessen Schüler. Lange Jahre der Schulung und harten Ausbildung folgten, die er letztlich mit Erfolg abschloss, sodass er sich auch Meister nennen durfte, wenn auch in der Rangordnung noch weit unter dem Meister selbst, dessen erhabene Höhe freilich kein anderer Sterblicher zurzeit in der Lage sei zu erreichen. Nun gehöre er als leitendes Mitglied der Bruderschaft zur aufgehenden Sonne an, autorisiert vom Meister selbst Novizen zu Schamanen auszubilden.
K****bUnd nun käme ich ins Spiel, er sei nämlich momentan auf der Suche nach neuen Novizen, was von vorneherein ein heikles Unterfangen sei, weil ja kaum geeignete Anwärter zu finden seien.
Ich käme ihm geeignet vor, das sage ihm seine Intuition und nun läge es an mir, mich bereitzuerklären.
Ich hatte erst kürzlich einen Bericht im Fernsehen gesehen über die Machenschaften obskurer Sekten und das hier roch verdächtig danach, deshalb stand ich auf, um mich schleunigst zu verabschieden.
Heinrichs Miene verfinsterte sich bedenklich. In dem Moment, als ich mich zur Tür umwenden wollte, kam ein großer Kolkrabe durch ein offenes Fenster hereingeflogen und landete krächzend auf Heinrichs Schreibtisch und schaute mich wie dieser durchdringend an.
„Setzt dich hin“, donnerte Heinrich mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete.
Hätte ich damals gewusst, was ich erst viel später erfuhr, dass Heinrich den Raben verletzt, mit gebrochenem Flügel gefunden hatte und ihn gesundgepflegt hatte, worauf dieser bei ihm blieb aus Treue und Dankbarkeit, dann hätte ich ja nicht die ganze Szene für magisch gehalten, wie ich es nun natürlich tat. Also setzte ich mich, weil ich einen Mann mit solch einem Raben für nichts anderes, als einen großen Magier einstufte, der unter Umständen zu vielem fähig sein musste. Nackte Angst und gehöriger Respekt vor einem großen Mann, zwang mich zu bleiben.
„Ich brauche dich, gerade dich, zum Novizen, ein geeigneterer ist mir bisher nicht untergekommen.“ erklärte Heinrich nun mit besänftigender Stimme.
Ich wagte nicht zu fragen, warum gerade ich, brauchte es auch nicht, denn Heinrich erläuterte mir sogleich die Gründe dafür.
Er brauche mich, weil ich feminin sei und fast wirke wie ein Mädchen, weil er einen Transgender-Schamanen heranbilden müsse. Ich widersprach nicht, mir schwirrte der Kopf.
Er ahne natürlich, dass ich mit der einschlägigen ethnologischen Literatur über indigenen Schamanismus nicht vertraut sei, besonders sicher nicht mit dem Werk der deutschen Soziologin und Ethnologin Gisela Bleibtreu Ehrenberg, die herausgefunden habe, dass für gewisse schamanistische Aufgaben nur Transgender infrage kämen, die im Laufe der Jahrhunderte die Frauen, die diese Aufgaben früher erfüllten, aus diesen Ämtern verdrängt hätten. Er könne mir das Buch „Der Weibmann“ von dieser besagten Forscherin gerne zum Lesen geben, damit ich Klarheit über meinen künftigen Werdegang bekäme.
Er erfragte meine momentane berufliche Situation und ich entgegnete wahrheitsgemäß, dass ich in einem halben Jahr plane ein Studium der Informatik zu beginnen und es aufgrund der guten finanziellen Situation meiner Familie nicht nötigt hätte, bis dahin einer erwerbsmäßigen Tätigkeit nachzugehen. Man erlaube mir so lange zu bummeln und nichts zu tun. Sicher ein Luxus, den nicht viele haben.
Das träfe sich ja prima, dann habe ich mich am nächsten Tag bei ihm einzufinden, ordnete er an, um acht Uhr am Morgen zum Start meiner Ausbildung zum Transgender-Schamanen. In der ersten Zeit würde ich lernen müssen, mich in allen Dingen des Alltags als Frau zu verhalten und als Frau zu empfinden. Natürlich würde ich bei ihm hier auf seinem Anwesen stets
K****bFrauenkleider tragen müssen, mich schminken müssen, wie es Frauen tun und mich wie eine Frau zufrisieren.
In allem solle ich wirken und erscheinen wie eine Frau und darüber hinaus, müsse ich lernen auch wie eine Frau zu fühlen in allen Lebenslagen. Nur so sei ein Transgender-Schamane für seine spirituellen Aufgaben geeignet, die ja früher nur Frauen erfüllen konnten.
Frauen hätten aber schon lange nichts mehr auf diesem Felde zu suchen. Frauen müssten gebären, das sei ihre Aufgabe.
Ich hörte mir dies alles an und dachte natürlich, dass ich einen Wahnsinnigen vor mir habe und weiter dachte ich, dass ich niemals auf seine Schnapsideen eingehen werde, ja nicht einmal würde ich an diesen Ort zurückkehren. Nein, ich würde meinem Vater all das berichten und der würde für Ordnung sorgen und mich aus den Klauen dieses Unmenschen befreien.
Als ich dies dachte, machte Heinrich einen zynischen Gesichtsausdruck, der mich vermuten ließ, er wisse alles, was in meinem blondgelockten Mädchenkopf vor sich ging.
Ich dürfe gehen meinte er, doch er warne mich, der Vorsehung, die so eindeutig sei, nicht zu folgen. Schlimmste Unfälle könnten mich dann heimsuchen, selbst er könne mich davor dann nicht mehr schützen.
Draußen bellte der Wolfsspitz und drehte sich wie wild im Kreis an seiner Kette, als ich auf mein Rad stieg und zum Hoftor hinausfuhr. Ich radelte sehr schnell in die beginnende Dämmerung hinein. Bald sah ich das Dorf von Weitem und gerade als ich dachte, dieser Idiot Heinrich wird mich kein einziges Mal mehr zu Gesicht bekommen, kam ein strammer Keiler von links aus dem Walddickicht gefegt und rannte mir ins Vorderrad, sodass ich in hohem Bogen über das Lenkrad flog und mir trotz geschickten Abrollens über die Schulter, wie ich es im Sportverein gelernt hatte, einige Blessuren und Abschürfungen zuzog. Zum Glück nicht zu schlimm. Der Eber war verschwunden, so schnell wie er kam.
Erstaunlicherweise war mein Rad nicht beschädigt. Bei Anbruch der Dunkelheit kam ich zu Hause an.
Meinen Eltern verriet ich nicht, dass ich bereit war, am nächsten Morgen meine Ausbildung zum Transgender-Schamanen anzutreten. Ich hatte das Gefühl, dieser Verrat würde mir gesundheitlich nicht gut bekommen.
Nachts träumte ich, dass ein alter Mann, dessen Gesicht ich nicht kannte, auf mich zukam mit einer aufgezogenen Spritze in der Hand, um mich zu betäuben und gefügig zu machen. Als ich ihn gerade noch abwehren konnte, wie weiß ich nicht mehr, ging er neben mir zu Beate und gab ihr eine Spritze, wodurch sie ihm sofort völlig gefügig zu werden schien und er mit ihr machen konnte, was er wollte.
Um ihr zu helfen, wollte ich einschreiten und da verpasste mir der Alte auch eine Spritze.
Ich sah noch sein hämisches Grinsen, als ich ihm hilflos und schwach in die ausgestreckten Arme sank.
Ich weiß nicht, ob es die Nachwirkung dieses Traums war oder was es sonst war, das mich
am nächsten Morgen total willig und sogar mit Vorfreude auf eine Art von Frauendasein, zeitig aufbrechen ließ, um rechtzeitig bei Heinrich, meinem Meister, meinen Dienst anzutreten.
Fortsetzung folgt
P****pwieder großartig geschrieben!
K****bVielen Dank, lieber AC43Bi.
Liebe Grüße Hera